Ulrike Sayatz & Roland Schäfer. Wie viel Grammatik braucht das Germanistikstudium? Invited talk at the 2. Treffen: Grammatik im Lehramtsstudium of the DFG Grafüs network. 29 June 2017 in Leipzig.

Die Mehrheit der BA- und MA-Student*innen in Germanistik oder Deutscher Philologie sind typi­scherweise Lehramtsaspirant*innen und keine zukünftigen Linguist*innen. Die Debatte darüber, was angesichts dieser Tatsache die Studieninhalte und die Art der Vermittlung sein sollen, dauert seit Jahrzehnten an. Zudem wird gelegentlich beklagt, dass Studienanfänger*innen im Rahmen ihrer schulischen Laufbahn kein ausreichendes Vorwissen erworben haben, und dass daher eine effektive universitäre Lehre in germanistischer Linguistik nicht möglich sei.
Wir möchten diese Diskussion mit einer empirischen Studie bereichern (Schäfer und Sayatz 2017). Mit einem aus schulischen Grammatikaufgaben der Jahrgangsstufen sechs bis zehn aufgebauten Test haben wir die Grammatikkenntnisse von 220 BA-Student*innen der Freien Universität Berlin evaluiert. Die Erstellung des Fragebogens erfolgte theoriegeleitet und nach strikten Gewichtungs­kriterien. Anders als in einem vor zehn Jahren medial reißerisch präsentierten ähnlichen Test („Grammatik-Fiasko“, „Grammatik-Nieten“, „Die Professoren [sic!] sind erschüttert!“) er­reichten die Student*innen im Mittel gute Ergebnisse. Wir müssen aber gleichzeitig (in einem Ver­gleich nach Studienjahren) feststellen, dass das Studium keinen großen Einfluss auf den Erfolg im Test hat. Außerdem zeigt sich deutlich, dass Aufgaben schlechter gelöst werden, je höher der Freiheitsgrad bei der Analyse ist. Eindimensionale und eher mechanische Aufgaben stellen kein größeres Problem dar.
Auf Basis dieser Studie argumentieren wir einerseits, dass das völlig ausreichende Vorwissen der Student*innen ein idealer Ausgangspunkt für eine fundiertere und theorienähere Ausbildung im Germanistikstudium sein könnte. Andererseits argumentieren wir, dass linguisti­sche Institute in der Art unseres Tests kontinuierlich das Vorwissen und den Wissenszuwachs ihrer Student*innen evaluieren sollten und dementsprechend ihre Lehrinhalte an diesen Wissensstand und die Erfordernisse des späteren Berufslebens der Mehrheit der Student*innen anpassen müssen.

Referenzen
Schäfer, Roland & Ulrike Sayatz. 2017 (erscheint). Wie viel Grammatik braucht das Germanistik­studium? Zeitschrift für germanistische Linguistik 45(2)